Arbeitskreis Geschichte des Kartonmodellbaus (AGK) e.V.
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Frühester Modellbaubogen durch Mitglieder des AGK aufgefunden

Während der Jahrestagung 2004 des "Arbeitskreises Geschichte des Kartonmodellbaus" im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg konnte der bisher früheste Modellbaubogen entdeckt werden. Zusammengebaut ergibt der Holzschnitt auf Karton eine Sonnenuhr in Form eines Kruzifixes. Die lateinische Inschrift auf der Bodenfläche des Kruzifixes gibt den Hinweis auf den Mathematiker Georg Hartmann aus Nürnberg und die Entstehung des Modellbaubogens im Jahr der Belagerung "Anno obsidionis".

Die Zeichnung weist stilistisch auf das erste Drittel des 16. Jahrhunderts und belegt, dass dieser Sonnenuhr-Kruzifix-Bogen bereits vor den 1544/45 von Hans Döring entworfenen Tafelbeilagen der " Kriegsbeschreibung" des Reinhard Graf zu Solms, die bisher für die frühesten Modellbaubogen gehalten wurden, entstanden sein muss.

Der Konstrukteur
Der Theologe, Mathematiker und Feinmechaniker Georg Hartmann aus Nürnberg wurde am 9. Februar 1489 im fränkischen Eggolsheim bei Forchheim geboren und verstarb am 9. April 1564 in Nürnberg. Von 1506 bis ungefähr 1510 studierte Hartmann zusammen mit Heinrich Glareanus (1488-1563) Mathematik und Theologie in Köln. Als er sich nach einer Studienreise durch Italien 1518 als Vikar der St. Sebaldus Kirche in Nürnberg niederließ, entschied er sich für eine der wichtigsten europäischen Handels- und Gelehrtenmetropolen seiner Zeit. Er befand sich hier an der Quelle sowohl für die nötigen wertvollen Materialien seiner Instrumente als auch für die entsprechend interessierte und vermögende Kundschaft. In der Renaissance gehörte Nürnberg neben Augsburg zu den bekanntesten Städten, in denen wissenschaftliche Instrumente, darunter auch Reise-Sonnenuhren (Kumpast oder Combast genannt), hergestellt wurden. In diesem fruchtbaren Klima der freien Reichstadt entwickelte sich Hartmann zum Experten für den Bau von Messinstrumenten: Neben diversen Sonnenuhren fertigte er Astrolabien, Sonnenquadranten sowie astronomische und astrologische Scheiben; wahrscheinlich auch Erd- und Himmelsgloben, Armillarsphären und Wandsonnenuhren. Beliebte Materialien waren dabei Birn- und Buchsbaumholz, aber auch Messing und Elfenbein. Georg Hartmann unterhielt weit reichende Kontakte und Korrespondenzen mit vielen Gelehrten und interessierten Fürsten seiner Zeit.

Bogen
Der Modellbaubogen
Georg Hartmann hat den Modellbaubogen von einem Holzschnitt auf Büttenkarton, bestehend aus zwei aufeinandergeklebten Papieren, gedruckt. Die Bogengröße beträgt 44.5 x 17.5 cm. Dabei wählte er eine Konstruktion, bei der alle Teile zusammenhängen. Es ist zu bewundern, wie ihm dies gelungen ist. Denn, was als Ergebnis nun so naheliegend scheint, ist wohl das Resultat unzähliger Versuche. Auch dass die Flächen des Kreuzfußes und der Kreuzarme mitsamt den Klebelaschen sich nur gerade berühren, zeigt, dass er das Konstruieren wirklich beherrscht hat. Die gewählte Anordnung der Teile erlaubt einen einfachen Zusammenbau; eine Bauanleitung ist nicht notwendig. Das Ganze fügt sich wie selbstverständlich zusammen. Dort wo zwei Teile aneinander stoßen, die voneinander getrennt werden müssen, befindet sich eine Linie mit senkrecht darauf stehenden kleinen Strichen. Die Falzrichtung ist nicht durch unterschiedliche Linien bezeichnet. Wenn der verwendete Karton gerillt wird, ist dies auch von untergeordneter Bedeutung. Einzig die beiden Klebelaschen links und rechts auf Höhe vom Kopf des Evangelisten Markus sind nach vorn zu falten, alle anderen Teile nach hinten. Zeichnung und Konstruktion sind sehr genau. Das Kreuz lässt sich problemlos und passgenau zusammenbauen. Hartmann muss als Konstrukteur und Modellbauer erfahren gewesen sein. Von seiner hohen handwerklichen Fähigkeit zeugen die sauber und gerade gezogenen Linien des Modells. Raffiniert ist der ausklappbare Winkelmesser, der durch Falten auf den zu jedem Ort passenden Winkel gebracht werden kann.

Bildprogramm und Datierung des Sonnenuhr-Kruzifixes
Georg Hartmann hat für die Ausgestaltung des Kruzifixes die typologische Darstellung der Ehernen Schlange aus dem Alten Testament und der Kreuzigung Christi aus dem Neuen Testament gewählt. Das 4. Buch Moses 21, 4-9 erzählt von den Israeliten, die, auf der Suche nach dem gelobten Land, in der Wüste von giftigen Schlangen angegriffen werden. Durch die Errichtung der Ehernen Schlange, hier an einem lateinischen Kreuz, und deren Anbetung, werden die gebissenen Juden gerettet. In direktem Bezug dazu steht Johannes 3, 14-15 "Und wie Moses in der Wüste die Schlange erhöht, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben."

Hartmann macht durch die lateinische Inschrift auf der Bodenfläche des Kruzifixes auf ein konkretes geschichtliches Ereignis aufmerksam. Er datiert das Kruzifix, nicht wie sonst üblich, mit einer Jahreszahl, sondern mit der für uns verschlüsselten Formel "Anno obsidionis". Auf anderen Drucken erscheinen sogar Tag und Monat. Die lateinische Inschrift lautet:
Nos autem gloriari oportet in
cruce domini nostri Iesu Christi, in quo
est salus, vita et resurrectio
nostra, per quem salvati et liberati
sumus.
Georgius Hartmann faciebat Noremberge Anno obsidionis.

Was übersetzt bedeutet: "Uns aber gehört es zu rühmen das Kreuz unseres Herrn Jesu Christi, in welchem unser Heil, Leben und Auferstehung liegt. Durch den wir erlöst und befreit worden sind. Georg Hartmann aus Nürnberg machte es im Jahr der Belagerung." Für eine genaue Datierung gibt es zwei Anhaltspunkte; zum einen die zeitliche Einordnung des Modellbaubogens in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts auf Grund des stilistischen Befundes (Dürerzeit), zum anderen den Hinweis von Hartmann, dass es sich um eine Belagerung handeln muss. So belagerte Soliman der Prächtige 1529 Wien, konnte aber durch die Truppen König Ferdinands I. (1503-1564) wieder nach Ungarn abgedrängt werden. Bekanntlich pflegte Georg Hartmann Kontakte mit Wien und zum türkischen Reich. Wiederholt stellte er Zifferblätter für Sonnenuhren mit verschiedenen Polhöhen für den Verkauf in andere Länder her. Er profitierte von den weit über Europa hinausgehenden Handelsverbindungen Nürnbergs und produzierte Drucke für den türkischen Markt. Bekannt ist der Holzschnitt einer Klapp- oder Diptychon-Sonnenuhr, der sich ebenfalls in der Bayerischen Staatsbibliothek befindet. Der arabische Text gibt mit 42° Grad den Breitengrad von Konstantinopel an, dem Regierungssitz Sultan Solimans von 1520-1566. Besonders interessant ist es, dass Georg Hartmann auch diesen Holzschnitt mit der Formel "faciebat Anno obsidionis" datiert hat. Somit scheint gesichert, dass er seinen Modellbaubogen im Zusammenhang der Belagerung Wiens 1529 konstruiert hat. Er war befreundet mit dem Mathematiker und Architekten Johannes Tscherte, der in Wien arbeitete und für König Ferdinand I. nach der Belagerung Wiens 1529 die Ringmauern der Stadt neu konzipierte. König Ferdinand I. kannte Hartmann persönlich. Dreimal ließ sich der König in Nürnberg die Instrumente von Hartmann zeigen.

Gebrauch der kreuzförmigen Sonnenuhr
Eine Sonnenuhr ist ein Zeitmessinstrument, bei dem mit Hilfe eines Schattenwerfers (Polstab, Kante, Punkt) die Winkel der Sonneneinstrahlung auf einem Zifferblatt gemessen werden. Um die Zeit möglichst genau anzeigen zu können, wird der Schattenwerfer seit dem 15. Jahrhundert parallel zur Erdachse ausgerichtet. Er zeigt dabei in Richtung Polarstern, denn nur bei dieser Winkelstellung (Winkel Phi = Breitengrad des Aufstellungsortes), ist gewährleistet, dass die Sonne (scheinbar) gleichmäßig um den Schattenwerfer wandert. Zifferblatt und Schattenwerfer können dabei so gestaltet werden, dass nicht nur die Zeit, sondern auch kalendarische, astronomische, geographische und astrologische Informationen abgelesen werden können. Georg Hartmann hat sich bei dieser Modellbaubogen-Sonnenuhr für die besondere Form des Kreuzes entschieden. Kreuzförmige Sonnenuhren waren damals bereits bekannt und oft mit dem gekreuzigten Christus verziert. Beim Aufstellen muss die Sonnenuhr zunächst mit einem Kompass in Nord - Südrichtung, auf einer waagrechten Fläche ausgerichtet werden, wobei das Kruzifix nach Norden zeigt. Dann wird das Kreuz soweit nach Süden gekippt, dass die Kanten des Kreuz-Querbalkens parallel zur Erdachse, d. h. Richtung Polarstern zeigen. In Nürnberg z. B. beträgt dieser Aufstellwinkel 90°- 49° = 41°. Die Kanten der Schmalseite des Kreuzes sind Richtung Polarstern zeigend die Schattenwerfer. Man liest die Ziffer (zum Beispiel 11.00 Uhr), auf die das Schattenende des Schattenwerfers (= Querkante) fällt, ab und hat somit die sogenannte "Wahre Ortszeit". Sie zeigt auf allen Sonnenuhren des gleichen Längegrades die gleiche wahre Ortszeit an. Dies genügte damals zur Zeitablesung, bis man Ende des 18. Jh. mit Hilfe genau gehender Pendeluhren erkannte, dass Sonnenuhren im Lauf eines Jahres bis zu 16 Minuten vor- oder nachgehen können. Dies ist auf die ungleichmäßige Bewegung der Erde zurückzuführen. Mit Hilfe einer Zeitgleichungstabelle, die diese Korrekturwerte für jeden Tag anzeigt, kann dies ausgeglichen werden. Am Boden unserer Kruzifix-Sonnenuhr ist neben der lateinischen Inschrift ein Winkelmesser als Aufstellhilfe angebracht. Man kann diesen nach dem Ausschneiden entsprechend dem Breitengrad eines beliebigen Aufstellungsortes (für Nürnberg bei 49°) umknicken und mit Daumen und Zeigefinger halten. Außerdem wird in Form eines kleinen Zeigers die damalige Kompassabweichung von 10° gegen Osten angezeigt.


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